Antique Boat Cruising From P3

145 Jahre Chris Craft

Zeitmaschinen

Chris-Craft ist die amerikanische Motorbootmarke schlechthin. Henry Ford hatte eine, ebenso wie Verleger Randolph Hearst oder Elvis Presley. Eine Zeitreise.

 

Story: Claus Reissig; Fotos: Werft

Chris-Craft hat unter Motorbootenthusiasten immer noch einen Namen wie Donnerhall: wenn man heute mit einer neuen Corsair an den Steg fährt, bleiben die Kenner stehen. Zwar ist sie retro wie ein VW Beatle  – aber der Name, der Schriftzug… Eine Chris-Craft eben.

Als Anfang des 20. Jahrhunderts auf der Straße Autos mit halsbrecherischen 60 Stundenkilometern herumkurven, zimmert Chris Smith bereits Holzboote in Serie.”

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Auch sonst bleiben sich die Jungs bei Chris-Craft treu wie Albatrosse ihrem Partner. Für sie müssen Motorboote immer noch ein wenig aussehen wie ein Straßenkreuzer aus dem Detroit der 1960er – und einen V8 haben. Die Maschinenlegende vor der (und ihrem Klang) Motorenthusiasten niederknien – acht Zylinder und zumeist heutzutage unverantwortlich viel Hubraum verteilt auf zwei v-förmig stehende Zylinderbänke. Den bekommen selbst die kleinsten schon in Heck gepflanzt (natürlich nicht die Catalinas: die haben Außenborder). Die Lancer 20 als quasi kleinste Corsair kann zum Beispiel mit einem Fünfliter-V8 von Mercury 260 PS auf die Welle stemmen, das ist doch schon mal etwas. Klar, dass das keiner braucht, aber das ist ja mit den meisten Sachen so, die Spaß machen.

„Miss Detroit I“ legte die Latte 1916 auf über 70 Meilen und  sah nicht so aus, als würde sie Garfield Wood jemals wieder lebend hergeben. Tat sie aber.”

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Chris-Craft hat eine meilenlange Tradition damit. Als Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Motoren zuverlässig tuckerten, baute Christopher (Chris) Smith bereits die ersten Boote. Während der erste Weltkrieg schon am Horizont zu sehen ist und die Titanic einen Eisberg übersieht, zimmert Chris Smith bereits Holzboote in Serie. Eine gewisse Familie Riva entwirft zur gleichen Zeit Rennboote in Europa, auf der Straße kurven Fords 20-PS-T-Modelle mit halsbrecherischen 60 Stundenkilometern herum.

Boote aus Chris’ erster Firma rasen derweil mit 80 Stundenkilometer über die Seen. Bootsrennen zu fahren war damals so angesagt wie heute Basejumpen oder Kitesurfen. Und wahrscheinlich ähnlich gefährlich: das Rekordboot „Miss Detroit I“ – mit der zu dieser Zeit noch typischen Steuerung hinter der Maschine – sah beispielsweise nicht so aus, als würde sie ihren Steuermann, den Industriellen Garfield Wood, jemals wieder lebend hergeben. Tat sie aber, Wood, mittlerweile Teilhaber der Werft, legte die Latte 1916 auf über 70 Meilen, Chris Smith’ Boote sind hip.

In den Golden Twenties entsteht das Schönheitsideal, das sich bis heute gehalten hat: Hochglanz lackiertes Mahagoni, ein grollender Motor und reichlich Chrom.”

Antique Runabout Fleet From P3 Montage

In den Golden Twenties ist die Zeit der Motorbootrennen vorbei, Herrschaften mit Kapitänsmütze und Strohhut nehmen in Chris’ Runabouts Platz. Motorboot fahren wird gesellschaftsfähig. Smiths’ Boote tragen doppelt geplankte Böden zur Sicherheit, Schwiegermuttersitze am Bootsende und prägen das Schönheitsideal eines Bootstyps, das sich bis heute gehalten hat: Hochglanz lackiertes Mahagoni (als Dekor oder auf Wunsch massiv), ein grollender Motor in der Mitte und reichlich Chrom.

Bei den Autos war das Wort Muscle Car noch nicht erfunden, aber Chris Smith baut bereits übrig gebliebene Flugzeugmotoren aus dem 1. Weltkrieg in seine Mahagoniboote. 8,2 Liter Hubraum hatte die 1922 ausgelieferte „Godfather VI“, heute ein Museumsstück. 1.400 Umdrehungen pro Minute machte das Biest damals und aktivierte 90 PS, während Al Capone sich in seinem Cadillac noch mit 60 PS durch Chicago quälte. Wer tapfer war, brachte es kurzzeitig auf 1.800 Umdrehungen. Knapp 30 Knoten waren schon etwas damals – gute alte Zeit!

Das schmal zulaufende Barrel Back ist eins der Designmerkmale von Runabouts, für das man Jay Smith heute noch dankbar sein muss.”

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Für den Massenmarkt entwirft Smith schon 1921 einen standardisierten 26-Fuß Express Cruiser mit einen 100 PS Vierzylinder als Antrieb. Mit elektrischem Starter und elektrischer Zündung ist das Boot für knapp 4.000 Dollar zu haben. 1924 produziert Chris Smith Craft – wie die Werft damals noch heißt – bereits vier Boote in der Woche. In Europa debütiert der Mercedes SSK nur kurze Zeit später mit 300 PS, Schauspieler wie Helen Morgan kaufen sich eine Chris-Craft, die Werft wird zum Rockstar unter den Bootsbauern.

Ende der Zwanziger Jahre ist Chris-Craft, wie die Werft nun offiziell heißt, größter Anbieter von Mahagonibooten, Jahrzehnte ehe man bei Riva in Italien über den Serienbootsbau nachdenkt. Es ist das Symbol für den American Way of Life: Alles geht, zur Not mit einem Kredit. Schon in den Dreißigern entsteht das Barrel Back, fast so sexy wie die Kotflügel eines 911, dieses eingezogene, stromlinienförmig anmutende Heck, das immer noch begeistert und kopiert wird. Die Außenwände laufen in einer fast sinnlichen Form oben ins schmaler werdende Heck. Eins der Designmerkmale von Runabouts für das man Jay Smith, der die Firma nach seinem Vater lenkt, heute noch dankbar sein muss.

Chris-Craft setzt auf geschicktes Marketing. `Kaufen Sie Ihrer Familie noch dieses Jahr eine Chris-Craft´, heißt es etwa in einer Werbung der 1930er Jahre.”

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Geld verdient wird ab Ende der 1920er mit Kajütbooten für gehobene Ansprüche mit Kojen und Waschraum. Schon Anfang der Dreißiger spülen sie mehr Geld in Chris-Crafts Kasse als die offenen Bötchen: Die zweite Baureihe, die so genannten Commuter, also Pendler-Boote, mit denen New Yorks Magnaten ursprünglich von Long Island zu ihren Büros nach Manhattan fuhren, werden zu einem wichtigen zweiten Standbein. Sie bekommen den charakteristischen kantigen Chris-Craft Rumpf und sogar das eingezogene Heck als Erkennungsmerkmal. Schon für 1.500 Dollar konnte eine Familie mit der kleinsten Version zum Kurzurlaub aufbrechen, fast 20 Meter lang ist das größte Modell zehn Jahre später.

Eines der Erfolgsrezepte für Chris Smith’ Boote ist die Liebe der Familie zu Motoren. Bereits in der Frühzeit der Serienfertigung baut man Vier-, Sechs- und Achtzylinder-Maschinen selbst oder rüstet sie um, ein Traum für jeden Konstrukteur. Denn die Maschinen können den Booten angepasst werden und nicht umgekehrt. Zudem konnte der Preisvorteil an die Kunden weiter gereicht werden.

GfK erobert den Bootsbau in den Fünfzigern. Bei Chris-Craft experimentiert man mit einer Art Kunststoffheckflosse auf einer Holz-Cobra.”

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Der zweite Punkt war das ausgeklügelte Marketing, das sich immer am Zeitgeschmack der Amerikaner orientiert. „Entscheiden Sie sich dafür, dass Ihre Familie den vollen Nutzen aus dem gesundheits- und charakterbildenden sauberen Outdoor-Leben ziehen kann. Kaufen Sie Ihr noch dieses Jahr eine Chris-Craft“, heißt es etwa in einer Werbung der 1930er Jahre. Eine Chris-Craft zu besitzen sollte den Eltern suggerieren, dass ihre Kinder mit gesunden Aktivitäten wie Schwimmen, Angeln oder Picknicken beschäftigt wären. Boot fahren, so versprach Chris-Craft, könnte zudem das Leben eines müden Geschäftsmannes verlängern.

1939 stirbt Chris Smith mit 78 und sein Sohn Jay übernimmt die Firma. Chris-Craft spürt die Folgen der Depression, die Verkäufe brechen ein. Als Zulieferer für die Marine übersteht man den zweiten Weltkrieg, danach knüpft die Holzbootswerft auch mit großräumigen Kajütbooten an alte Erfolge an. Baureihen wie die Constellation oder Commander werden Verkaufsschlager, kleinere Typen wie die Cavalier wurden mit den modern werdenden Außenbordern bestückt und debütierten mit dem Slogan vom low-cost boating. 1960 ist Chris Craft der größte Hersteller kleiner Boote weltweit; sie werden mittlerweile von rund 5.000 Mitarbeitern an zehn Standorten produziert – und alle in Holz, dem Material, an das die Smith’ immer geglaubt haben.

Selbst neue Chris-Crafts sehen immer noch ein wenig aus wie Straßenkreuzer aus dem Detroit der 1960er – und müssen einen V8 haben.”

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Aber auch ein neues Material erobert den Bootsbau: GfK, Glasfaser verstärkter Kunststoff. Zuerst wird bei Chris-Craft in den Fünfzigern mit einer Art Kunststoffheckflosse auf einer Holz-Cobra experimentiert. Als das GfK-Zeitalter jedoch endgültig dämmert, trennt sich die Familie von ihrem Bootsimperium, zu groß scheint ihnen der Schritt zum Kunststoff. Der Kaufpreis für das Unternehmen beträgt schließlich 40 Millionen Dollar. 1972 schließlich verlässt die letzte Holz-Chris-Craft die Fertigungshallen – kein Runabout, sondern eine fast zwanzig Meter lange Konstellation mit Detroit-Dieseln. Insgesamt sollen in den fast 140 Jahren Werftgeschichte rund 250.000 Boote gebaut worden sein.

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