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Reise: Was zieht den Menschen auf’s Wasser?

Urlaubszeit. Zahlreiche Menschen verbringen jedes Jahr ihren Urlaub auf dem Wasser. Warum eigentlich?

 

Story und Fotos: Claus Reissig

 

Der Wassersportler hat zur See eine merkwürdige Beziehung. Immer wenn ich auf See bin, wünschte ich, ich wär auf Land, sagte einmal ein englischer Segler – aber immer, wenn ich auf der Mole stehe, wünschte ich, ich wär auf See. In einer Partnerschaft würde man von einer klassischen On-Off-Beziehung sprechen – vorausgesetzt, dass man überhaupt miteinander redet.

Und da fängt das Missverständnis schon an: Der Mensch auf See dankt Rasmus, beschwört den Wind, betet zu den Göttern und schimpft auf Neptun, wenn es ungemütlich wird, oder spricht mit sich selbst – ein Wort zur See? Fehlanzeige. Man wünscht sich Mast- und Schotbruch, guten Wind, gute Reise. Die See wird mit keinem Wort erwähnt.

Vielleicht ist es dieser unmittelbare Umgang mit der Gefahr, dieses Ausweglose, was den Geist beflügelt. Das Meer in seiner Ganzheit erfahren zu wollen ist ungefähr so aussichtslos und unbegreiflich, wie den Weltraum verstehen zu wollen.”

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Da scheint der Segler bei all seinem Aberglauben reflektiert genug zu sein: Die See ist ruhig, wenn Flaute ist (zumindest meistens) und die See geht mehr oder minder hoch, wenn Wind weht. Selbst tätig wird sie also nicht, sondern bleibt damit das unschuldige Verbindungsmedium zwischen dem Wind und dem Schiff mit seiner Besatzung. Den Wind, die Götter spricht man schon einmal direkt an, auch das Schiff natürlich, bei der See bleibt man aber in der dritten Person. Der Segler spricht übrigens in alter Seefahrertradition von der See. Ans Meer fahren nur Menschen aus dem Binnenland – zum Baden. Und Winde wehen auch nicht auf See, sondern Wind, auch daran erkennt man den Nichtseemann.

Für den Menschen ist die See (womit er meist die Oberfläche des Meeres meint) im Grunde auch feindlich. Denn ist man nicht auf See, wenn man zum Beispiel über Bord fällt, ist man im Wasser und es genügen schon zwei Meter Tiefe um nicht mehr aufzutauchen. Vielleicht ist es dieser unmittelbare Umgang mit der Gefahr, dieses Ausweglose, was den Geist beflügelt. Das Meer in seiner Ganzheit erfahren zu wollen ist ungefähr so aussichtslos und unbegreiflich, wie den Weltraum verstehen zu wollen, dafür muss man kein Segler sein.

Auffällig ist, wie unterschiedlich die See regional wahrgenommen wird. Die zunehmende Distanz scheint im Süden zu einer Art romantischen Verklärung zu führen, die den Küstenbewohnern im Norden weitgehend fremd ist.”

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400, 1.000 oder 6.000 Meter Tiefe – wer soll das verstehen, wenn Schnorcheln bei drei oder vier Meter und Tauchen bei 40 Meter Wassertiefe endet? Dinge die hineinfallen, sind im Sprachgebrauch weg, obwohl sie einfach nur unter Wasser sind. Aber diese Welt nimmt niemand mehr war. Sinkt ein Schiff, ist es zumeist mit normalen Mitteln nicht mehr zu erreichen, es ist ebenfalls weg, gestrichen, in einer Parallelwelt, nicht mehr da. So etwas bietet kein anderes irdisches Medium.

Einmal davon abgesehen, was alles darin herumschwimmt. Wenn man sich auf einem langen Schlag über See umdreht, und auf einmal einen meterlangen Grauwal im Kielwasser entdeckt, der eventuell schon länger dort ist, wird man nachdenklich. Was hier wohl sonst noch alles ist, was er nicht sieht? Der Segler geht daher auch nur wiederwillig ins Wasser, schon gar nicht zum Baden. Generationen von Seefahrern und Fischern konnten nicht einmal schwimmen.

Auffällig ist, wie unterschiedlich die See regional wahrgenommen wird. Die zunehmende Distanz scheint im Süden zu einer Art romantischen Verklärung zu führen, die den Küstenbewohnern im Norden weitgehend fremd ist. Vielleicht ist es die permanente Gegenwart des Wassers, das man es weniger idealisiert. Man weiß ja wie es ist: Nass, kalt und häufig ungemütlich.

400, 1.000 oder 6.000 Meter Tiefe – wer soll das verstehen? Dinge die über Bord fallen, sind im Sprachgebrauch weg, obwohl sie einfach nur unter Wasser sind.”

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Auch der Körper ist mit der Bewegung, in die er versetzt wird, nicht immer einverstanden. Unter Deck gaukeln einem die Augen einen statischen Raum vor, mit Sofa, Pantry und Schränken, während der Gleichgewichtsinn im Innenohr die Bewegung registriert. Diese Diskrepanz führt zu der klassischen Seekrankheit. Seefest sind nur die wenigsten Segler und Motorbootfahrer, zumindest in den ersten Tagen. Die Symptome reichen von leichtem Unwohlsein bis zu dauerndem Erbrechen mit entsprechendem Flüssigkeitsverlust. Dazu können Panik und völlig irrationales Verhalten kommen. Seekranke wurden schon im Cockpit angebunden oder unter Deck eingesperrt, damit sie nicht im Wahn über Bord springen. Nach einigen Tagen an Bord gewöhnt sich der Körper übrigens zumeist an die Bewegung – dann wird er an Land krank, wenn’s nicht mehr schaukelt…

Was zieht einen also nach See hin, wie man früher im Norden sagte? Eventuell ist es diese unglaubliche Abgeschiedenheit, das ausgeliefert sein, das eine sehr pragmatische und ausdauernde Denkweise erfordert. Und eben dieses Ewig-weit-weg-sein von allem. Wenn man zum Beispiel noch 60 Seemeilen vor der Küste ist – gerade einmal gut 100 Kilometer – und das Schiff sechs Knoten läuft (also Seemeilen pro Stunde), dann ist man noch weitere zehn Stunden auf See – mindestens. Das führt zu einem beeindruckenden Fatalismus an Bord: Nützt ja nix, muss ja! Aussteigen geht nicht, da geht es nur einem Bergsteiger auf dem Matterhorn ähnlich. Auch der muss den Weg zurück wieder nehmen, ob er will oder nicht, aussteigen gibt es auch da nicht.

Dieses Ewig-weit-weg-sein von allem erfordert eine sehr pragmatische Denkweise: Nützt ja nix, muss ja! Aussteigen geht nicht, da geht es nur einem Bergsteiger auf dem Matterhorn ähnlich.”

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Dieser Fatalismus gipfelt im Fantasieren darüber, was man wohl als Erstes machen will, wenn man dann endlich wieder festen Boden unter den Füßen hat. Über den ersten Gin Tonic, das erste kalte Bier oder den ersten Rumpunsch am Strand wird bei einer Atlantiküberquerung schon Tage vor der Ankunft philosophiert, als wäre das der eigentliche Grund des Losfahrens gewesen. Vielleicht ist es auch so, vielleicht ist die Ankunft mit einem Gipfelsturm vergleichbar. Auf jeden Fall hat man weder nach 14 Tagen Fahrt auf dem Nordatlantik noch auf der Nordsee bei sieben bis acht Beaufort gegenan und drei Meter Seegang jemals jemanden sagen hören: So könnte es immer weitergehen! Nein, bitte nicht.

Die weite der See kann einen zur Verzweiflung treiben. Wenn ringsherum nur noch Horizont zu sehen ist und der einzige sichtbare Progress der täglich länger werdende Strich auf der Seekarte ist, der in einen Ozean hinein zeigt, sinkt der Mut manchmal mit jedem Tag. Das ändert sich schlagartig, wenn die Mitte erreicht ist, vom Großen Teich zum Beispiel, wie man unter Seglern den Atlantik etwas respektlos nennt. Dann rast die Zeit in gefühlt doppelter Geschwindigkeit.

Wenn ringsherum nur noch Horizont zu sehen ist und der einzige sichtbare Progress der täglich länger werdende Strich auf der Seekarte ist, der in einen Ozean hinein zeigt, sinkt der Mut manchmal mit jedem Tag.”

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Der mittlerweile fast 80-jährige Seeverrückte und Extremsegler Wilfried Erdmann schrieb in während seiner ersten Einhand-Nonstopp-Weltumseglung die überliefernswerten Worte in sein Logbuch: Ein Erdmann ist kein Seemann. Wie wahr… Und was gibt es nicht alles auf See: Monotonie, Melancholie, Resignation, Langeweile; Wilfried Erdmann hat alle diese Gefühle in seinen Büchern ausgiebig beschrieben, hat seinen Leser mitfühlen lassen.

Warum tut er sich das an, fragt man sich? Ellen MacArthur, die 2005 als erste Frau den Rekord für eine Einhand-Nonstopp-Weltumrundung unter Segeln brach, beschreibt in ihrem Film das Abenteuer. Sie schien über lange Strecken nur geweint zu haben. Das ist nicht wertend gemeint, es zeigt aber diese unglaubliche Ausweglosigkeit, die eine Seereise mit sich bringen kann. Alleine, seekrank, kalt, schlechtes Wetter, wenig Schlaf, überfordert und am Rande der körperlichen und mentalen Belastbarkeit zeigt dieser Film vielleicht am deutlichsten, wie hart Seefahrt sein kann.

Das wissen natürlich auch Leute wie Erdmann im Südpazifik oder Reinhold Messner auf seinen Achttausendern – nur weinen würden sie nicht, zumindest nicht vor der Kamera. Beide wollen auch scheinbar immer so weitermachen, süchtig nach Ozeanen und Bergen. Im Gegensatz zu Ellen MacArthur. Sie wird in einem großen Online-Lexikon mittlerweile als retired sailor geführt – mit 43. Vielleicht ist sie geheilt.

Sich den Elementen zu stellen kann hart sein. Das wissen auch Leute wie Erdmann im Südpazifik oder Reinhold Messner auf seinen Achttausendern – nur weinen würden sie nicht, zumindest nicht vor der Kamera.

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Eine Notwendigkeit zur Seefahrt in dieser Form gibt es heute sowieso nicht mehr. Frachten werden mit Containerriesen transportiert, lange Reisen mit dem Flugzeug unternommen, die Kontinente sind entdeckt. Alle Menschen die einen in den Yachthäfen umgeben, tun das freiwillig. Und warum? Vielleicht hilft wiederrum eine Antwort Reinhold Messners auf die Frage, warum er auf Berge steigt. Weil sie da sind!, antwortete er ganz einfach. Man geht also nach See hin, um das Meer zu befahren, ein wenig auf den Spuren der alten Pioniere Cook, Magellan, Hitchcock oder Erdmann, weil es eben da ist.

Wer ein Schiff an der Nord- oder Ostsee liegen hat, an der Elbe oder der Weser, tut das jedes Wochenende in der Saison. Egal, wie das Wetter ist. Das sind die kleinen Abenteuer, die das Leben verlängern, zumindest gefühlt. Je mehr man erlebt, desto länger ist die gefühlte Lebenszeit, sagte einmal ein Psychologe. Wer das nicht machen würde, sein Leben auf der Couch fristet und von der Reise träumt, so dessen Theorie, dem rauscht das Leben eventuell durch die Finger.

Frauen fällt häufig die schier unglaubliche Sinnlosigkeit auf, die das Ganze umgibt. Männer interessiert das nicht: Die See ist da und muss befahren werden, das reicht als Argument.”

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Das kann einem aber auch auf See passieren, wenn man nicht den schönen Zweiklang zwischen Erlebnis und Erholung, zwischen See und Land erlebt. Denn ein Leben retten kann die See nicht, dagegen sprechen die unzähligen Aussteiger, die mit ihren Schiffen in den schönsten Buchten der Erde liegen und jeden Blick auf die Schönheit verloren zu haben scheinen. Damit schließt sich der Kreis. Vielleicht ist Seefahrt die Freude auf das ungewisse Abenteuer auf dem Wasser, und im Umkehrschluss die Freude auf die Erholung und Sicherheit an Land. Das eine existiert nicht ohne das andre, irgendwie beruhigend.

Wer also ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Sicherheit hat, für den ist die See eventuell nichts. Vielleicht ist das der Grund, warum so viele Männer und so wenig Frauen segeln. Frauen fällt häufig ganz klarsichtig die schier unglaubliche Sinnlosigkeit auf, die das Ganze umgibt. Männer interessiert das nicht: Die See ist da und muss befahren werden, das reicht als Argument.

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